Wem sonst nichts mehr einfällt!
Konrad Branse und Erwin Wagner laufen unter der Erde

Als dem Westumer Lauftreffler Konrad Branse nach seiner Teilnahme am Jungfrau-Marathon ein Flyer von dem Untertage-Marathon in Thüringen in die Hände fiel, war es wohl dem Übermut der erfolgreichen Absolvierung seines ersten Berglaufes zuzuschreiben, dass er sich spontan für diesen außergewöhnlichen Lauf in der Kyffhäuser Region begeistern konnte. In Erwin Wagner fand er einen weiteren Interessenten, der nach seinen vielen Bergläufen und seiner Teilnahme am New-York-Marathon eine neue Herausforderung suchte.

Und was für eine Herausforderung! Befindet sich die 42,195 km Strecke doch 700 m unter der Erde im ältesten Kalibergwerk der Welt bei Sondershausen. Dieser Ort liegt zwischen Harz und Thüringer Wald. Seit dem letzten Jahr mit voller Produktion in 1989 wurde dieses Bergwerk schrittweise stillgelegt und in ein Erlebnisbergwerk umgewandelt. Neben einem Bergwerksmuseum befindet sich in 670 m Tiefe die wohl tiefste Kegelbahn der Welt, ein Konzertsaal mit einer ausgezeichneten Akustik und noch 200 m tiefer ein Laugensee, der zu Kahnfahrten einlädt. Das untertägige „Straßennetz“ soll eine Ausdehnung wie das der Stadt Halle an der Saale haben. Neben dem Marathon finden hier auch jährlich ein 10 km Lauf sowie Fahrradrennen statt.

Für den Marathonlauf war ein Rundkurs von etwa 10,5 km ausgesucht worden, der viermal durchlaufen werden musste. Und das bei einer Temperatur von über 25° C und einer Luftfeuchtigkeit von weniger als 30 %. Bergwerksmienen haben dazu die Gewohnheit, dass sie sich nicht nur kreuz und quer sondern auch auf und ab durch den Berg schlängeln. Der Rundkurs war ausgewiesen mit einer Höhendifferenz von 310 m, also insgesamt 1.240 m in vier Runden. Da hat mancher ausgewiesene Berglauf weniger Höhenmeter. Erschwerend kommt bei einem Rundkurs dazu, dass die gleiche Anzahl an Metern auch wieder abwärts gelaufen werden muss. Und wie der „Stadionsprecher“ treffend beim Start bemerkte, es schien keine Sonne. Obwohl der verwinkelte Kurs notdürftig in mehr oder minder großen Abständen ausgeleuchtet war, wurde neben der obligatorischen Helmpflicht auch das Tragen einer Stirnlampe oder das Mitführen einer Taschenlampe empfohlen.

Entsprechend ausgerüstet wurden die 350 Teilnehmer (es soll mehr „Verrückte“ geben, diese wurden aber nicht mehr zugelassen) in einem doppelstöckigen Förderkorb mit jeweils 15 Personen Fassungsvermögen runtergelassen. War es in der Warteschlange noch zitterkalt, so machte sich unten eine wohlige Wärme breit. Als der Startschuss endlich fiel, stand Konrad Branse in der ersten Reihe. Schließlich wollte er in seiner Altersklasse vorne sein. Da der Vorjahressieger in der gleichen Klasse lief und dieses mal wieder am Start war, bedeutete dieses Ziel auch für Konrad eine echte Herausforderung. Erwin Wagner hatte nach seinem New-York Marathon eine Regenerationsphase eingelegt und sah diesen Lauf, entgegen seiner sonstigen Übung, als reines Erlebnis. Doch obwohl er das Rennen in gemäßigtem Tempo anging, taten sich ihm schon nach wenigen hundert Metern Zweifel auf, ob er diesen Lauf überhaupt zu Ende laufen wollte. Die erste ordentliche Bergaufpassage war so doch nicht erwartet worden. Erst jetzt machte sich die stickige Luft bemerkbar. Das war er von seinen Bergläufen in reiner Natur nicht gewohnt.

Die Erholung beim anschließenden Bergablauf währte nur kurz. Nach etwa 4 km tat sich eine Rampe auf, die mit ihrer Steigung von zeitweilig über 20 % aber wirklich jedem Berglauf zur Ehre gereichen würde. Viele hundert Meter schlängelt sich der Weg durch die vielen Kurven aufwärts. Hier mussten auch die vorderen Läufer wie Konrad Branse Gehpausen einlegen. Ihm machten insbesondere die nachfolgenden steilen Bergabpassagen zu schaffen. Die insgesamt ziemlich unebene Strecke mit gefährlichen Vertiefungen, wegen den schlechten Lichtverhältnissen kaum erkennbar, erforderten die höchste Aufmerksamkeit. Besonders in den Kurven galt die volle Konzentration der Rutschgefahr, verursacht durch den wie Sand auf dem Boden liegenden losen Salzen auf harten Untergrund. Einzig der letzte Kilometer der Runde verlief nur leicht abschüssig und ließ sich somit sehr angenehm laufen. Jeweils am Ende einer Runde trifft man dann auch auf eine kleine Schar mitgereister Fans, welche die Läufer ebenso laut anfeuern wie der professionelle Ansager, der fast jeden Teilnehmer persönlich begrüßt. Schließlich ist das Feld bald so auseinander gezogen, dass der Läufer auf dem überwiegenden Teil der Strecke mit sich und der Dunkelheit alleine ist.

Es war wohl beides, der letzte angenehme Kilometer und die Begeisterung der Zuschauer, die Erwin dann doch motivierten, die nächste Runde anzugehen und aus dem hell ausgeleuchteten Start-Ziel-Bereich erneut in einem dunklen Gang zu verschwinden. Die Rundenzeiten verschlechterten sich bei ihm ebenso kontinuierlich wie bei Konrad Branse. Der hatte besonders in der letzten Runde schwer zu kämpfen. Für die vielen Bergabpassagen waren seine Schuhe nicht geeignet. Jedenfalls hatte er unter den Fersen Blasen, die jeden Auftritt zu einer schmerzhaften Angelegenheit machten. So gesehen kann Konrad Branse mit seinem insgesamt 6. Platz und einer Zeit von 3:27 Std. durchaus zufrieden sein. Da er den Vorjahressieger um über eine Minute hinter sich ließ, war der erste Platz in der AK M50 außerdem sicher. Erwin Wagner benötigte 4:03 Std. und war insgesamt 44-ter.

Im Nachhinein mussten beide eingestehen, dass dieser Lauf doch härter war als vorher angenommen. Umso besser schmeckte dann das frisch gezapfte Bier 700 Meter unter der Erde.