Der Unwetter-Katastrophe zum Trotz
Lauftreff Westum beim „Schönsten Marathon der Welt“


Die 13 gilt allgemein als Unglückszahl. Und so stand auch die 13. Auflage des Jungfrau Marathons noch 3 Wochen vor dem auf den 10. September festgesetzten Termin unter keinem guten Stern. Das Katastrophen-Unwetter im gesamten Alpengebiet hatte besonders hart die Jungfrau-Region im Berner Oberland getroffen. Ganze Straßenzüge wurden unterspült und Schienenstränge der Schweizer Bahn waren über Nacht verschwunden. Und die Bahn ist für die Organisation der als „Schönster Marathon der Welt“ bezeichneten Veranstaltung unbedingt erforderlich. Transportiert sie doch nicht nur die mitreisenden Fans und das Gepäck von 4.000 zugelassenen Läufern sondern auch rund 30 Tonnen an Material für den Aufbau der Verpflegungsstellen von Interlaken bis zum über 2.000 Meter über Meeresspiegel gelegenen Ziel auf der Kleinen Scheidegg. Und auch der Rücktransport der Läufer kann nur auf diesem Wege erfolgen, da das alpine Gelände für diese Massen keine anderen Transportmittel zulässt.


Nachdem das Hochwasser langsam zurückgegangen war, wurden erst die wahren Ausmaße der Katastrophe sichtbar. Die von den Organisatoren zuerst erwogene Absage des Marathons wurde verworfen. Wie soll man die Teilnehmer aus über 40 Ländern erreichen? Zudem ist der Lauf inzwischen auch für die vom Tourismus lebende Region eine besonders jetzt benötigte Einnahmequelle. Wer den Jungfrau-Marathon schon einmal gelaufen ist, der weiß, mit welchem Engagement die Einwohner der durchlaufenen Orte die Läufer mit Guggemusik, riesigen Kuhglocken, Böllerschüssen, Alphornbläsern und anfeuernden Zurufen motivieren. Und mit noch größerem Einsatz wurden nun die Aufräumarbeiten angegangen. Eine der beiden zum Ziel führenden Bahnstrecken konnte so viel früher als ursprünglich absehbar ihren Betrieb wieder aufnehmen und damit den Lauf auf seiner geplanten Stecke möglich machen.


Voller Anerkennung und tiefer Dankbarkeit versammelten sich pünktlich um 9,00 Uhr fast 4.000 Laufbegeisterte hinter der Startlinie in Interlaken. Darunter fast die gesamte Berglaufelite. Mit dabei waren auch vier Akteure des Lauftreff Westum. Nicht nur Rainer Strack und Erwin Wagner, die mit ihrer 7. bzw. 5. Teilnahme bereits zu den „alten Hasen“ gehören, sondern auch die vielen anderen Lauftreffler, die in früheren Jahren diesen Lauf teilweise mehrmals genossen hatten, konnten ihre Erfahrungen an die beiden Debütanten Konrad Branse und Rolf Wäsche weitergeben. Und Erfahrung spielt bei diesem Marathon eine wesentliche Rolle. Schließlich liegt der Reiz dieser Strecke nicht nur darin, dass sie in der landschaftlich wohl schönsten Gegend der Schweiz liegt, sondern auch in den über 1.800 Höhenmetern die überwunden werden müssen bis das Ziel unmittelbar am Fuße der Eigernordwand erreicht ist. Bei dieser anspruchsvollen Strecke spielt die Laufzeit für die meisten Teilnehmer eine untergeordnete Rolle. Ankommen ist hier die Devise.


Gestartet wird in dem zwischen Brienzer- und Thuner-See gelegenen Interlaken. Die ersten 10 Km verlaufen vollkommen flach und auch auf den folgenden 15 Km ist nur ein Anstieg von ca. 200 Metern zu bewältigen ist. Trotzdem ist dieser Abschnitt für den Lauf von entscheidender Bedeutung. Wer hier nervös ist und es nicht versteht, mit seinen Kräften zu haushalten, der muss auf den restlichen 17 Km unerbittlich Tribut zahlen. Denn allein auf diesen 17 Km ist ein Höhenunterschied von 1.600 Meter zu bewältigen. Nicht umsonst hatte der Sieger von 2000, Sergej Kaledin, nach der Zielankunft erklärt: "Die erste Streckenhälfte war schwieriger, weil ich hier stets auf die Bremse treten musste. Hier nur nicht zuviel Kraft verlieren, sonst bist du im Berg verloren."

Zwischen Km 25 und Km 26 beginnt der zweite Teil des Laufes. Wie eine Wand baut sich der erste Anstieg zum autofreien Ort Wengen vor den Läufern auf. Fast zwei Kilometer geht es mit einer durchschnittlichen Steigung von über 20 % aufwärts. Das kostet Kraft und raubt Zeit. Gehen ist kaum langsamer als Laufen. Dafür wird die Aussicht ins Lauterbrunner-Tal zusehends beeindruckender. Nach einer kurzen erholsamen flachen Etappe erreicht man den Ort Wengen, wo eine Vielzahl von Zuschauern Spalier bilden. Deren Begeisterung schwappt auf die Läufer über und motiviert für die restlichen schweren 10 Km. Nun geht es permanent den Berg hoch in Richtung Eiger, Mönch und Jungfrau. Wer hier sein Pulver noch nicht verschossen hat, kann bis Km 39 teilweise wieder zügig laufen. Dann beginnt das schwerste Stück. Innerhalb von 2 Km muss der Läufer die restlichen 500 Höhenmeter bewältigen. Richtiges Laufen ist jetzt auch für die Spitze nicht mehr möglich. Das Gros der Teilnehmer kämpft sich vollkommen introvertiert Meter für Meter mit großen oder kleinen Schritten hoch. Überholen ist in der felsigen Landschaft zu gefährlich. Unendlich lang kommt dem Läufer dieser Streckenabschnitt vor, der über die Eigermoräne unmittelbar am Auslauf des Eigergletschers vorbeiführt bevor es den letzten Kilometer abwärts zur Kleinen Scheidegg geht. Hier warten beste Verpflegung, eine Medaille, ein hochwertiges Finisher-Shirt sowie ein Duschzelt mit reichlich warmem Wasser auch für den letzten Läufer.

Sieger wurde bei den Männern der Äthiopier Eticha Tasfaye, der mit 2:59:22 als einziger unter der Drei-Stunden-Marke blieb. Ebenfalls aus Äthiopien stammt die mit 3:29:15 Std. schnellste Frau. Sie war aber auch die einzigste Läuferin, die vor dem Westumer Läufer-Ass Konrad Branse das Ziel erreichte. Dieser machte bei seiner Premiere als Bergläufer einfach alles richtig. Die Ratschläge seiner Freunde beherzigend, lief er die erste Hälfte mit knapp unter 1:31 Std. für seine Verhältnisse quälend langsam und an 138. Stelle liegend. In der Wenger-Wand und danach fuhr er dann den Lohn für seine Zurückhaltung ein. Ab hier wurde Läufer um Läufer eingesammelt. In Wengen hatte er sich bereits auf den 83. Rang vorgearbeitet und im Ziel belegte er nach 3:41:52 Std. den 49. Platz. Für seinen dritten Platz in der Altersklasse M50 wurde er am Abend in feudalem Rahmen im Kasino in Interlaken geehrt. Auch Erwin Wagner teilte sich seine Kräfte in der von ihm gewohnten Weise ein. In Lauterbrunnen noch 210-ter, in Wengen bereits 175-ter und im Ziel 114-ter. Mit einer Zeit von 3:55:19 Std. knackte er bei seinem 5. Lauf zum zweiten mal die Vier-Stunden-Marke und verfehlte seine vor drei Jahren aufgestellte Bestzeit nur um 4 Sekunden. Aber auch die übrigen Teilnehmer des Lauftreffs verbesserten ihre Platzierung in dem Bergabschnitt. Rolf Wäsche war bei seiner ersten Teilnahme nicht nur mit seiner Zeit von 5:20:50 Std. (Platz 1.883) zufrieden sondern auch von der Organisation, den Zuschauern und der Berg-Kulisse begeistert. Rainer Strack tat sich bei seiner siebten Teilnahme besonders auf dem ersten Abschnitt schwer. Unerwartete Magenprobleme zwangen ihn mehrfach zu einer Auszeit. So überquerte er die Halb-Marathon-Marke erst nach unter seinen Fähigkeiten liegenden 2:14:42 Std.. Auch der Anstieg nach Wengen war schwer und er spielte mit dem Gedanken, hier auszusteigen. Als dann aber just da, wo die Zuschauer dicht an dicht stehen, aus dem Lautsprecher die Ansage kam: „Und hier kommt Rainer Strack aus Sinzig. Wie fühlst du dich?“, konnte er nicht anders und rief zurück: „Gut!“ Derart motiviert ging es ihm von diesem Moment an spürbar besser und so wurden auch die restlichen Kilometer bewältigt. Nach 6:11:20 Std. (Platz 2.820) kam er zwar ziemlich spät aber letztendlich doch glücklich, den Lauf beendet zu haben, im Ziel an.