Dicke Luft in Peking?

Erlebnisbericht von Erwin Wagner

Als vor 6 Jahren der Peking-Marathon auf den 19. Oktober -einem Datum mit besonderer persönlicher Beziehung- terminiert war, wollte ich spontan teilnehmen. Dass es dann letztlich doch nicht dazu kam, habe ich immer bereut. In diesem Jahr fand der Lauf erneut an diesem Tag statt. Für mich war sofort klar: Da bist du dabei!

Nun gehört China nicht zu den Ländern, in die man mal soeben mit einem Flieger hinfliegt. Im Internet konnte ich nur einen Anbieter für Laufreisen finden, welcher den Peking-Marathon im Programm hat. Als Mindestteilnehmerzahl sind 2 Personen genannt. Da meine bessere Hälfte mich begleiten sollte  -ein wenig Überzeugungsarbeit war allerdings nötig-, war diese Bedingung schon erfüllt. Deutschsprachige Reiseleitung wurde für Peking auch zugesichert. Glücklicherweise fand sich noch ein Ehepaar aus Berlin, welches ebenfalls interessiert war. Nach einigen Telefonaten und eMails mit dem Reiseveranstalter stand auch das individuell gestrickte Rahmenprogramm, das heißt, 4 Tage Peking, Nachtzug zur alten Kaiserstadt Xi’an mit 3 Tagen Aufenthalt, Flug nach dem überwiegend moslemisch geprägten Xining und von dort noch am gleichen Tag mit einer 23 Stunden dauernden Bahnreise nach Lhasa, der Hauptstadt Tibets.

In China ist im Oktober wie bei uns Herbst, und Peking begrüßte uns früh morgens mit einem herrlichen Sonnentag. Obwohl wir wegen der Zeitumstellung fast 30 Stunden kein Bett gesehen hatten, stand nach der Gepäckunterstellung im Hotel sofort die Besichtigung von Himmelstempel, Kaiserpalast und Sommerpalast auf dem Programm.

Nach einer langen Nacht war am zweiten Tag der Besuch der Verbotenen Stadt angesagt. Der Haupteingang zur Verbotenen Stadt ist das Tor des Himmlischen Friedens, auf chinesisch "Tiananmen" genannt. Es ist das Tor, das dem Platz außerhalb der Verbotenen Stadt seinen Namen gab, dem Tiananmen-Platz. Mao Tsetung ließ diesen Platz errichten, um Massenaufmärsche mit über einer Millionen Teilnehmern abhalten zu können. Bekannt ist der Platz des Himmlischen Friedens leider aber auch durch die blutige Niederschlagung der Studentenproteste in 1989. Was die Studenten offensichtlich nicht wussten: Der Platz war nur für systemkonforme Aufmärsche konzipiert. Nachmittags Besuch des Lamatempels, der wichtigsten buddhistischen Tempelanlage Pekings, und des nahe gelegenen Konfuziustempels.

Am nächsten Tag steht der Marathon auf dem Plan. Nach dem Frühstück im Hotel werden wir zu dem nahe gelegenen Tiananmen-Platz gebracht, wo um 8:00 Uhr der mit 30.000 Teilnehmern gut organisierte Marathon und Halbmarathon starten. Der flache Kurs läuft an vielen Sehenswürdigkeiten der chinesischen Metropole entlang und der Marathon endet direkt vor dem Olympiastadion, dem so genannten Schwalbennest. Die weit überwiegende Anzahl der Läufer stellen die Chinesen. Europäische "Langnasen" fallen sofort auf und sind für die mit modernster Handytechnik ausgestatteten Einheimischen ein gern gesehenes Fotoobjekt. Aufgehalten durch die vielen "Fototermine" komme ich gerade noch so zeitig zum Start um meinen Kleiderbeutel für den Transport zum Ziel in den letzten Bus zu verstauen. Entsprechend den in den vergangenen 12 Monaten gelaufenen Marathonzeiten sind die Teilnehmer in unterschiedliche Startblöcke eingeteilt, deren Zugang streng kontrolliert wurde. Dumm für mich war nur, dass ich, obwohl in den Block der Läufer mit einer Zeit von 3:00 bis 3:30 Std. gehörend, für den Block der über 4:00 Std.-Finisher registriert war. Sei's drum, dabei sein ist alles und eine Bestzeit ist sowieso nicht mehr möglich.

Ein wirkliches Hindernis war der hintere Startplatz letztlich auch nicht. Durch die breiten Strassen hatte sich das Läuferfeld bereits nach 2 km soweit entzerrt, dass störungsfreies Laufen möglich war. Während an den beiden Vortragen die Sonne geschienen hatte und dabei Temperaturen von über 25 Grad erreicht wurden, war am Marathontag optimales Laufwetter. Bei herbstlichem Hochnebel wurden 16 Grad nicht überschritten. Die alle 2,5 km gelegenen Verpflegungsstellen ließen auch keine Wünsche offen, und so konnte Kilometer für Kilometer in einem gleichmäßigen Tempo abgespult werden. Die sehr vielen Zuschauer an der ganzen Strecke wurden, ich denke unnötiger Weise, von in regelmäßigen Abständen postierten Uniformierten am Betreten der Laufstrecke gehindert.  Ob es unter Strafe verboten war, weiß ich nicht, aber auffallend war schon, dass die Polizisten nur gelegentlich einen schnellen kurzen Blick auf die Strecke warfen und ansonsten immer in Richtung der Passanten standen. Die letzten 2 km waren gesäumt von anfeuernden Zuschauern, die in mindesten 5 Reihen auf jeder Seite ein Spalier bildeten in dem sie die Läufer über die letzten oft schwierigen Meter "trugen". Als ich nach 3:22 Std. die Ziellinie als 595-ter Läufer überquerte, hatte ich einen meiner schönsten Läufe hinter mir.

Im Zielbereich durfte ich mich dann erneut zusammen mit Einheimischen ablichten lassen. Eine freundlichere Behandlung als Ausländern kann man sich kaum vorstellen. Etwas beschwerlicher spielte sich dann die Rückkehr zum Hotel ab. Geplant war ein Rücktransport durch den Reiseleiter. Diese war bis auf eine Ausnahme perfekt: Von einer Marathonveranstaltung hatte er wenig Ahnung. Und so kam es, wie ich befürchtet hatte. Wir hatten uns verpasst. Nach drei Stunden Umherwandern musste ich mich dann mit dem Gedanken vertraut machen, allein den Weg zum Hotel anzutreten. Nur ist das nicht so ganz einfach in einem Land, deren Straßennamen man nicht lesen kann. Sicherheitshalber hatte ich mir eine Visitenkarte des Hotels eingesteckt - aber wo sollte man jetzt ein Taxi finden.

Selten war meine Freude größer, als ich plötzlich in vertrauter deutscher Sprache nach meinem Wohlbefinden erkundigt wurde. Ein Sportsfreund aus Emmendigen/Schwarzwald hatte mich ins Ziel laufen sehen und meinte, ich sei ziemlich weit vorne gewesen. Selber konnte er verletzungsbedingt nicht mitlaufen, war aber auch geschäftlich in Peking. Ich schilderte ihm kurz mein Problem in der Hoffnung, er könne mir vielleicht einen praktikablen Lösungsweg aufzeigen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Er hatte seinen chinesischen Geschäftspartner dabei, der glücklicherweise mein Hotel kannte und sehr gut deutsch sprach. Selber waren beide mit der U-Bahn unterwegs. Meine Bedenken, mich aufgrund der mir fremden Schriftzeichen in der U-Bahn nicht zurecht zu finden, nahm er zum Anlass, ihre Route kurz zu ändern und die gleiche Linie zu nehmen, die in Richtung meines Hotels führte. Ich musste lediglich 5 Stationen weiter fahren und mir dort ein Taxi nehmen. Die Fahrkarte spendierte er mich auch noch.

An der Zielstation angekommen, musste ich schnell feststellen, dass dort kein Taxi stand und die vielen vorbeifahrenden alle besetzt waren. Wieder erfuhr ich außergewöhnliche Hilfe indem mehrere Leute mir halfen bei dem Versuch Taxis heranzuwinken. Es dauerte trotzdem mindesten eine halbe Stunde bis sich ein Erfolg einstellte und ein Taxi mich auf kurzem Wege zu meinem Hotel brachte, wo man sorgenvoll auf mich wartete. Trotz allem war es für mich ein vollkommen glücklicher Tag, hatte ich doch soviel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft kennen gelernt. Zur Feier des Tages stand abends Peking-Ente auf dem Programm, die in einem Restaurant verzehrt wurde, in dem Altbundeskanzler Kohl auch schon gespeist hatte. Abenteuerlich war dann die Rückfahrt zum Hotel mit einem Fahrradrikscha, welches sich ohne Beleuchtung kreuz und quer durch den nächtlichen Autoverkehr schlängelte.

Am folgenden Tag besichtigten wir die Große Mauer vor den Toren Pekings und gingen davon ca. vier sehr anspruchsvolle bergauf und bergab Kilometer ab. Ein Nachtzug brachte uns dann zur alten Kaiserstadt Xi'an. Hier besichtigten wir die berühmte Terrakotta-Armee, die Große Wildgans-Pagode im Dacien-Tempel aus dem 7. Jahrhundert und schlenderten einige Kilometer über die wunderschöne Stadtmauer. Mit dem Flieger ging es ins moslemisch geprägten Xining, wo bei einem kurzen Zwischenstopp eine Moschee besichtigt wurde.

23 Stunden dauerte die anschließende Bahnfahrt durch tibetisches Gebiet in die Hauptstadt Lhasa. 960 der insgesamt 1.956 km langen Strecke verlaufen oberhalb von 4.000 m NN. Eine besondere Herausforderung beim Bau der mit 5.072 m über NN höchstgelegenen Bahnstrecke der Welt war der 550 km über Parmafrostboden verlaufende Abschnitt.

Lhasa selber liegt auf einer Höhe von 3.600 m. Im Oktober sind die Nächte mit Werten unter 0°C schon sehr kalt. Dafür scheint tagsüber fast immer die Sonne und erwärmt die Luft auf über 20°C. Neben den berühmten Klosterstätten war das für mich beeindruckendste Gebäude der Potala-Palast, dem früheren Regierungssitz der Dalai Lamas. Es beinhaltet 999 Zimmer, die sich über 13 Stockwerke verteilen. Mehr Zimmer, nämlich 1.000, soll es nur im Himmel geben.

Nach zwei Tagen Akklimatisierung ließ ich es mir nicht nehmen, auch in Lhasa auf über 3.600 m über NN einige Kilometer zu laufen. Während die Einheimischen in dieser Jahreszeit überwiegend mit Jacken unterwegs sind, passte ich mit meinem kurzen Lauftrikot nicht so recht ins Bild. Die meisten Passanten beobachteten mich mit ungläubigen Blicken, es gab aber auch anerkennende Bewunderung. Ich muss gestehen, das der Lauf in der Höhe schon sehr anstrengend war.

Wieder in Deutschland angekommen, musste ich zuerst im Internet nachsehen, ob ich wirklich in Peking gelaufen war. Schließlich hörte ich von allen Seiten, dass in den Nachrichten von dem Horror-Marathon berichtet wurde, der wegen Smog eigentlich nur mit Atemmasken zu bewältigen war. In Internet konnte ich dann Berichte unter den Schlagzeilen "Marathonläufer ringen mit Smog in Peking" oder "Atemlos durch den Smog" lesen. Dem Veranstalter wurde vorgeworfen, den Lauf nicht abgesagt zu haben. Als Beweis wurden Läufer mit Mundschutz abgebildet und ein Teilnehmer hatte sogar seine Gesichtsmaske vor dem Lauf und nach 10 km abgebildet. Sie hatte sich in der Zeit als Beweis für die schlechte Luft stark vergilbt. Dann musste er aufgeben, weil trotz Maske kein Weiterlaufen mehr möglich war. Ich nehme eher an, dass er die Zeit, die man für 10 km benötigt, Zigarettenrauch in die Maske geblasen hat. Selber kann ich nur festhalten, dass tatsächlich einige Läufer einen Mundschutz trugen. Das tun in China aber viele Menschen tagtäglich, auch in Lhasa, wo man kaum von Smog sprechen kann. Persönlich war für mich das Wetter zum Laufen sehr angenehm. Und auch während meiner langen Verweildauer im Zielbereicht konnte ich keinen Läufer erkennen, dem es schlecht gegangen wäre.

Gerne glaube ich, dass die Luft in einer Metropole wie Peking grundsätzlich nicht gut ist. Aber ich denke auch hier ist kein großer Unterschied zu unseren Metropolen. Jedenfalls waren keine größeren Verkehrsstaus erkennbar und man ist bemüht, diesem Problem zu Leibe zu rücken. So wurden sämtliche gesehenen motorisierten Zweiräder elektrisch angetrieben.